- Salman Rushdie
- Salman RushdieDas Beispiel des britischen Schriftstellers Salman Rushdie zeigt, wie sehr religiöse Eiferer Einfluss nehmen können auf ein menschliches Schicksal. Auch wenn der mit einem Tötungsaufruf der iranischen Führung jahrelang verfolgte Rushdie mittlerweile offiziell keine Anschläge auf sein Leben mehr fürchten muss, bleibt die Ungewissheit, wie sich konservative islamische Kreise verhalten.Sohn eines vermögenden Geschäftsmanns aus BombayDer Schriftsteller (Ahmed) Salman Rushdie wurde am 19. Juni 1947 in Bombay als Sohn eines vermögenden Geschäftsmanns muslimischen Glaubens geboren. Er wuchs in Bombay auf und kam im Alter von 14 Jahren nach England, wo er ab 1961 eine angesehene Schule besuchte und die traditionelle britische Erziehung genoss. 1964 nahm Rushdie die britische Staatsbürgerschaft an. Seine ersten Schritte im Berufsleben unternahm er von 1969 bis 1973 als Texter in einer Werbeagentur. Seit 1973 schrieb er auch literarische Texte. Sein erstes Werk, der Roman »Grimus«, erschien 1975. Er war eine Mischung aus Science-Fiction und Märchen und zeigte Rushdie bereits als Meister der Fabulierkunst. Internationale Anerkennung bekam er für sein zweites Buch, den Roman »Midnight's children« (»Mitternachtskinder«), der 1981 erschien. In diesem Werk schildert Rushdie die Entwicklung des indischen Staats am Beispiel eines in der Nacht der indischen Unabhängigkeitserklärung zur Welt Gekommenen. Rushdie bediente sich dabei des Stils des magischen Realismus.Vorbild für die indoenglische ProsaEr wurde Vorbild für die indoenglische Prosa und fand hohe Anerkennung in der englischsprachigen Welt. Auch der 1983 erschienene Roman »Shame« (»Scham und Schande«), der sich in ähnlichem Stil mit Pakistan beschäftigte, wurde in der westlichen Welt ein großer Erfolg. 1987 veröffentlichte Rushdie unter dem Titel »Jaguar smile« einen Bericht über eine Reise durch Nicaragua. Als 1988 dann sein Werk »The satanic verses« (»Die satanischen Verse«) erschien, fand es wiederum ein äußerst positives Echo. Rushdie stellt in diesem Werk Themen aus der Geschichte des Islam in Form fantasievoller, ausschweifender und apokalyptisch zugespitzter Traumsequenzen dar. Der Roman beginnt damit, dass über dem Ärmelkanal ein gekidnappter Jumbojet explodiert. Wie durch ein Wunder überleben der Filmstar Gibril Farishta und Saladin Chamcha. Die beiden werden zu Protagonisten im Kampf zwischen Gut und Böse. Es folgt eine Aneinanderreihung bizarrer Abenteuer, Traumdarstellungen und Geschichten aus der Vergangenheit und der Zukunft. Zu diesen Geschichten gehört eine Darstellung des Lebens des jungen Propheten Mohammed (im Roman heißt er Mahound), die zwar frei ausgemalt, aber kaum verhüllt aufgezeigt wird. In satirischem Stil stellt Rushdie dar, wie aus dem Koran angeblich vom Teufel eingegebene Abschnitte entfernt werden. In anderen Passagen des Romans erhalten Prostituierte die Namen der Frauen des Propheten.Die FatwaDurch dieses Buch sollte schließlich das Werk des Schriftstellers Salman Rushdie hinter dessen Person verschwinden. Der Grund war die Protestwelle, die dieses Buch, beginnend in Großbritannien, in islamischen Kreisen auslöste. Sie verurteilten es als blasphemisch; dies vor allem wegen der Sequenzen, die der Autor in loser Folge in seinen Roman eingebaut hatte. Dass der Vorgang des Entfernens der Abschnitte aus dem Koran historisch belegbar ist und Rushdie ihn in satirischer Sprache schilderte, nutzte ihm nichts mehr. Als Muslim hätte Rushdie allerdings wissen müssen, dass für Muslime keine kritische Auseinandersetzung mit Mohammed und dem Koran möglich ist, vor allem keine Herabsetzung Mohammeds. Auch wenn die meisten Protestierenden das Buch nicht gelesen haben, Rushdie verletzte religiöse Gefühle. Die Verurteilung nahm an Schärfe zu und erreichte schließlich auch die islamischen Länder Mittel- und Vorderasiens. Am 14. Februar 1989 hielt der iranische Revolutionsführer R. M. H. Khomeini eine Rundfunkansprache, bei der er alle Muslime weltweit zur Ermordung Rushdies aufrief. Es wurde ein Kopfgeld in Höhe von 1 bis 3 Millionen US-Dollar für die Vollstreckung ausgeschrieben. Die westliche Welt reagierte scharf, die EG rief ihre Botschafter aus Iran zurück, aber das erzielte keine Wirkung. Überall gab es in der islamischen Welt Protestdemonstrationen gegen Rushdie und Khomeini wiederholte öffentlich seinen Mordaufruf. Rushdie entschuldigte sich bei den Menschen der islamischen Welt, das jedoch wurde nicht akzeptiert und auch nach dem Tod Khomeinis am 3. Juni 1989 blieb die Todesdrohung in Kraft.Erste ReueDiese Fatwa, wie der Spruch der höchsten islamischen Richter heißt, veranlasste Rushdie, sich unter den Schutz der britischen Regierung zu stellen und ständig den Aufenthaltsort zu wechseln. Zudem erhielt er Polizeischutz. Dieses ungewisse Leben scheint sich auch auf seine Psyche ausgewirkt zu haben, denn Ende 1990 traf er sich mit dem ägyptischen Außenminister, distanzierte sich von seinem Werk, zeigte sich reumütig und bekannte sich ausdrücklich zum Islam. Anfang des Jahres 1990 hatte Rushdie seinen Roman noch verteidigt. Im folgenden Jahr zeigte sich, dass Rushdies Reue seine Situation in keiner Weise verbessert hatte. Im März 1991 wurde das Kopfgeld vonseiten der iranischen Führung verdoppelt, im Juli wurden die Übersetzer der italienischen und japanischen Ausgabe der »Satanischen Verse« Opfer von Anschlägen, bei denen der Japaner starb. Im Frühjahr 1989 war die italienische Fassung des Romans erschienen, im Juli die französische. In Deutschland verzögerte sich das Erscheinen, da der Verleger Neven Du Mont Drohungen erhalten hatte und deshalb die Veröffentlichung zurückstellte. Es wurde eine Verlegergemeinschaft mit Mitgliedern aus Deutschland, der Schweiz und Österreich gegründet, die sich »Artikel 19« nannte und die »Satanischen Verse« dann im Oktober 1989 herausbrachte.Solidaritätskundgebungen in aller WeltDie Solidaritätskundgebungen für Rushdie rissen nicht ab. Im Sommer 1989 erschien ein »World Statement«, veröffentlicht vom »International Committee for the Defence of Salman Rushdie and his Publishers«, das 12 000 Unterschriften trug. Im Herbst desselben Jahres setzten sich die Mitglieder der Schwedischen Akademie für Rushdie ein. Die Berliner Akademie der Künste verweigerte allerdings 1989 aus Sicherheitsgründen die Durchführung einer Solidaritätsveranstaltung für Salman Rushdie. Günter Grass trat daraufhin aus der Akademie aus. Vonseiten der Politik, speziell vonseiten der britischen Regierung, blieb das Engagement für den britischen Staatsbürger Rushdie zunächst eher zurückhaltend. Der Grund waren Verhandlungen um die Freilassung westlicher Geiseln im Libanon, die man nicht durch eine offene Parteinahme für Rushdie gefährden wollte. Dies änderte sich mit der Freilassung der Geiseln im Dezember 1991. Zu diesem Zeitpunkt begann eine neue Kampagne zugunsten Rushdies. Für ihn setzte sich unter anderem die Literaturnobelpreisträgerin von 1991, Nadine Gordimer, ein. Rushdie selbst war im Jahr 1992 ständig unterwegs, stets geschützt durch starke Sicherheitsvorkehrungen und immer war es ungewiss, ob er erscheinen würde. Eingeladen hatten ihn PEN-Clubs und Parlamentarier aus den verschiedensten Ländern. So besuchte er unter anderem Dänemark, Kanada, Norwegen, die USA und im Oktober 1992 auch Deutschland. Bedeutend war sein Treffen mit dem britischen Premierminister Major im Mai 1993, auch US-Präsident Clinton traf sich im November 1993 offiziell mit ihm, im Dezember 1993 traf Rushdie dann auch den damaligen deutschen Außenminister Klaus Kinkel. Als wie ernst aber weiterhin die Situation für Rushdie einzuschätzen war, belegte das Attentat auf den norwegischen Verleger der »Satanischen Verse« im Oktober 1993. Rushdie wurden in der westlichen Welt zahlreiche Ehrungen zuteil. Er erhielt einen britischen Literaturpreis, wurde im November 1993 Ehrenprofessor am Massachusetts Institute of Technology, im Mai 1994 wurde ihm dann auch öffentlich der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur verliehen, den er bereits 1992 zuerkannt bekommen hatte.Erste Signale der iranischen RegierungErste Signale der iranischen Regierung, den Mordaufruf nicht mehr zu verfolgen, gab es im Mai 1995. Allerdings weigerten sich Vertreter der Regierung immer wieder - vor allem in Gesprächen mit Vertretern der EU - diese Aufhebung auch förmlich zu erklären. Dabei wurde das Problem offenkundig, dass diese Fatwa als religiöser Richterspruch nach islamischem Recht nicht wieder aufhebbar ist. Deutlich wurde auch die Spannung innerhalb der iranischen Führung zwischen den Regierungsvertretern und den Vertretern der religiösen Führung. Während die Regierung langsam ein Nachgeben signalisierte, erhöhte die religiöse Führung im Februar 1997 das Kopfgeld für Rushdie. Der setzte unbeirrt seine Reisetätigkeit im Verborgenen fort. Er war beim Münchener Kindler Verlag im März 1996 ebenso zu Gast, wie er im Juli 1997 vor der französischen Nationalversammlung sprach. Bei diesem Auftritt ermahnte er die EU und vor allem die britische Regierung, ihren wirtschaftlichen Druck auf Iran zu erhöhen. Im Mai 1998 nahm Rushdie dann an einer Veranstaltung der Berliner Akademie der Künste teil, die unter dem Titel »Über die Verfolgung der Schreibenden« stand. Günther Grass, der aufgrund dieser Veranstaltung wieder in die Akademie zurückgekehrt war, hielt die Eröffnungsrede.Iran distanziert sich offiziell von der FatwaEtwa zur gleichen Zeit, also Mitte 1998, ging es auch auf diplomatischem Parkett im Fall Rushdie etwas voran. So hielt der gemäßigte iranische Staatspräsident Chatami am 21. September 1998 eine Rede während der UN-Generalversammlung in New York, in der er deutlich machte, dass er »die Angelegenheit Salman Rushdie als völlig abgeschlossen« betrachte. Dem schloss sich die Veröffentlichung einer gemeinsamen Erklärung des britischen und des iranischen Außenministers an, wonach sich Iran offiziell von der Fatwa distanziert. Salman Rushdie sah dies als Beleg dafür an, dass die Bedrohung vorbei ist, er bleibt jedoch weiterhin in Gefahr, da konservative Kreise in Iran darauf beharren, dass das Todesurteil gegen ihn immer noch bestehe.Auch zur Zeit der Fatwa schriftstellerisch tätigTrotz seiner schwierigen Lage blieb Rushdie auch zur Zeit der Fatwa schriftstellerisch tätig. So erschien 1990 das seinem Sohn gewidmete Kinderbuch »Haroun and the sea of stories« (»Harun und das Meer der Geschichten«), 1998 brachte das »Royal National Theatre« in London das gleichnamige Theaterstück heraus. 1991 kam sein Essayband »Imaginary homelands« (»Heimatländer der Fantasie«) heraus. Sein erster Roman nach der Fatwa »The moor's last sigh« (»Des Mauren letzter Seufzer«) von 1995 behandelt die indische Geschichte bis in die Gegenwart anhand der Geschichte einer Gewürzhändlerfamilie. Rushdie stellt darin auch die Auseinandersetzungen dar, die sich 1992 in Bombay zwischen Muslimen und Hindus abspielten. Einer der Hinduführer fühlte sich in diesem Roman karikiert, der indische Zoll verbot im Oktober 1995 die Einfuhr des Buches. Auch auf Rushdies Privatleben wirkte sich die Verfolgung negativ aus. So folgte ihm seine zweite Frau zunächst in das Leben im Versteck, sie trennte sich aber Mitte 1989 von ihm. Seit 1997 ist Rushdie mit der Verlagslektorin Elizabeth West verheiratet, mit der er einen Sohn hat. Fast zeitgleich zum zehnten Jahrestag der Fatwa veröffentlichte Rushdie einen kurzen Essay »India Today«.Rückkehr zur Literatur und in seine Heimat IndienErst seit Februar 1999 besitzt Rushdie wieder ein für fünf Jahre gültiges Einreisevisum nach Indien. Für die Preisverleihung des Commonwealth Writers Prize in der Kategorie Eurasien kehrte er dann im Jahr 2000 unter dem Schutz der indischen Regierung erstmals nach zwölf Jahren in sein Geburtsland - »das Land, das er nie wirklich verlassen hat« - zurück. Nach wie vor steht er rund um die Uhr unter Polizeischutz. In seinem 1998 erschienenen Roman »The ground beneath her feet« (»Der Boden unter ihren Füßen«), am ersten Tag der Fatwa beginnend, verarbeitet er auch eigene Erfahrungen seines »Nomadenlebens« am Beispiel einer imaginären Rockband. Im September 2001 wurde bekannt, dass Salman Rushdie vor einem Jahr von London nach New York übergesiedelt ist. Hier erschien sein achter Roman unter dem Titel »Fury« über einen indischen Professor für Ideengeschichte in Cambridge.
Universal-Lexikon. 2012.